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Making of "Inflation!"


Nach zweieinhalbjähriger Abstinenz begebe ich mich wieder in die Zeit der Weimarer Republik. Mal sehen, was Hendrik, Diana und Gregor in der Zwischenzeit so getrieben haben.

Es geht leichter als erwartet; es ist, als ob man alte Freunde wiedertrifft. Wunderbar! Natürlich sind wie immer zahlreiche Dinge zu recherchieren: Inflation und Ruhrbesetzung, chemische Haaruntersuchung und Kohlenstaublunge, die Geschichte des Friseurhandwerks, Berliner Flughäfen, Kriegsgefangene im ersten Weltkrieg, Ernährung in Zeiten der Not und die Attraktionen des Lunaparks. Ach ja, und wann war eigentlich 1923 an der Uni das Sommersemester zu Ende?

Also ab in die Bibliotheken. Zu dumm: In der Katalogrecherche funktioniert die Freie Suche nicht. Auch nicht am nächsten Tag. Oder am übernächsten. Drei Wochen lang nicht. Wir halten fest: In sämtlichen Öffentlichen Bibliotheken Berlins – der Hauptstadt dieser Republik – ist drei Wochen lang keine Freie Suche möglich. Sicher, Kartoffelrezepte aus Nachkriegszeiten kann ich wohl auch im Internet finden. Aber sonst? Zeit für eine kleine Exkursion.

Das Internet

ist eine prima Sache. Bei aktuellen Themen unschlagbar. Bei selbstbezüglichen Themen – Computer, Internet, Websites – ebenfalls. Für alles andere ... na ja, zum Einstieg ganz in Ordnung. Sucht man dagegen fundierte Antworten auf Fragen wie: Was wurde 1923 auf den Äckern im Umland von Berlin angebaut? Wie war damals der Tagesablauf in einem Obdachlosenasyl? Und wie sah die Sommermode aus?, dann übertrifft nichts den Gang in die gute alte Bibliothek. Ende der Exkursion.

Endlich funktioniert die Freie Suche wieder. Mittlerweile benötige ich händeringend Informationen über den Ruhrkampf. Ein nicht unbedeutender Teil des Buches soll in einer von den Franzosen besetzten Stadt spielen. Ich entscheide mich für Essen, weil es da tolles Material des katalanischen Journalisten Eugeni Xammar gibt, außerdem war Essen Hauptquartier der Besatzungstruppen. Eins habe ich allerdings nicht bedacht: Wie unterscheidet man bei der Katalogrecherche Essen (Stadt) von Essen (Nahrung)?

 

 Abstraktes Bild (Acryl)

 

Parallel dazu begebe ich mich wider besseres Wissen in die Stabi, die Staatsbibliothek zu Berlin, als wüsste ich nicht, dass diese Bibliothek seit Jahren unangefochten der ersten Preis der benutzerfeindlichsten Bibliothek aller Zeiten hält.

Fangen wir mit den Kosten an. 25 Euro kostet die Jahreskarte, es gibt keine Ermäßigung. Arbeitslose, Studenten, Rentner – solche Hungerleider will diese Elitebibliothek nicht. Wissen ist Macht, und wo käme man hin, wenn man jedem Hergelaufenen Zugang zu dieser Macht verschafft, nicht wahr?

Bibliotheksausweise sind bei jedem Ein- und Ausgang vorzuweisen, belehrt uns ein Schild am Einlass des Hauses Unter den Linden. Könnte ja jeder reinkommen und sich für Bücher interessieren. Dafür sind die Schließfachschlüssel im Haus Potsdamer Straße nicht nur wie in vielen Bibliotheken teilweise ohne Nummern, nein, hier hat man sich als besonderen Spaß ausgedacht, auf einige Schlüssel andere Nummern zu schreiben als auf die zugehörigen Schließfächer.

Alles, aber auch alles drückt aus, dass Besucher als Feinde betrachtet und nur mit Mühe geduldet werden: angefangen bei den Radständern, deren Bauweise geradezu auf das Zerstören von Rädern ausgelegt scheint, bis hin zu der unnachahmlichen Arroganz, die ein großer Teil des Personals für einen natürlichen Umgangston hält. Und der Gipfel: Während bestellte Bücher im Lesesaal Unter den Linden ganze drei Tage für den Leser zurückgelegt werden, benötigt das Personal der Stabi sage und schreibe neun Tage, um zurückgegebene Bücher einzusortieren und wieder ausleihbar zu machen. Wäre es da nicht einfacher, an der Eingangstür ein Schild anzubringen: „Besucher unerwünscht“?

Die Stabi hat ein Asbest-Problem. Ein schöner Flyer liegt aus, in dem man lesen kann, dass aufgrund der Sanierungsarbeiten einige Medien derzeit nicht verfügbar seien. Aus Kulanz verlängere man dafür jedoch die Jahreskarten um sechs Monate. Ich bezahle und fange an zu recherchieren. Zwei Drittel aller Bücher, die ich benötige, sind frühestens Ende November, also in acht Monaten, wieder ausleihbar. Bis dahin ist der Abgabetermin für mein Buch vorbei.

Wir fassen zusammen: Zum Zeitpunkt meiner Ausweiserneuerung wird ein großer Teil der Medien für die Öffentlichkeit unzugänglich acht Monate lang unter Verschluss gehalten, und aus „Kulanz“ [Kulanz: Entgegenkommen, Großzügigkeit (Brockhaus, 21. Aufl., 2006)] wird mein Ausweis um sechs Monate verlängert.

Im laufenden Text des Flyers findet sich dann der Hinweis: Informieren Sie sich auch an den Leihstellen über unser Paket an Kulanzregelungen. Fragt man dort nach, erfährt man, dass das „Paket“ in genau einem Punkt besteht, nämlich dem, der ohnehin auf dem Zettel steht: sechs Monate zusätzliche Ausleihmöglichkeit.

Hütchenspieler sind seriöser.

 

Wer neugierig geworden ist, findet hier Näheres über Inflation!