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Inflation 1923


Hamsterfahrt

Ursachen

Zinszahlungen und Schuldentilgungen durch den verlorenen ersten Weltkrieg schwächen die deutsche Mark. Die Regierung versucht, mit höheren Krediten und vermehrtem Banknotendruck gegenzusteuern. 1921 müssen die Auslandskredite für die fristgemäße Abdeckung der ersten Goldmilliarde Reparationszahlungen zurückgezahlt werden, daher setzt die Reichsbank verstärkt Devisenankäufe fort. Das Resultat ist ein katastrophaler Kurssturz der deutschen Mark, verstärkt noch durch die Produktionsausfälle aufgrund der Ruhrbesetzung. Vor dem Krieg stand der Dollar bei 4 Mark 20, am 11.8.1923 bei 3,9 Millionen, am 5.11. bei 420 Milliarden.

 

Auswirkungen

Gegen den Werteverfall einer Inflation kann man kaum anarbeiten. Arbeiterfrauen warten vor den Werktoren, um den Lohn ihrer Männer in Empfang zu nehmen und sofort in Brot und Butter umzusetzen, weil das Geld schon Stunden später nichts mehr wert ist. Bankguthaben verfallen vor den Augen ihrer Besitzer; dadurch geraten auch Rentner und alle, die sich eine Alterssicherung zusammengespart haben, ins Elend. Das Spekulantentum blüht, Schieber und Hehler haben Hochsaison.

Tagtäglich spielen sich absurde Szenen ab. Kassenboten schleppen das Geld in Säcken, Wäschekörben und Reisekoffern durch die Straßen. Die Tagesproduktion an Noten beträgt zwischenzeitlich 10 Billionen Mark. So schnell muss neues Geld nachgedruckt werden, dass die Notendruckmaschinen kaum nachkommen, zudem mangelt es an Papier. Die Reichsbank versieht daher wertlos gewordene 100-, 500- und 1000-Mark-Scheine mit einem Überdruck zu 500.000, 1.00.000 und 3.000.000 Mark. Manche Verkäufer nehmen diese Scheine nicht an, obwohl sie gesetzlich dazu verpflichtet sind. In den Banken wird das Geld schließlich nicht mehr gezählt, sondern mit dem Lineal gemessen.

Vielerorts geht man wieder zur Naturalwirtschaft über. In landwirtschaftlichen Gebieten wie Mecklenburg oder Oldenburg basiert man Pachtverträge und Warenpreise, sogar Rentenbriefe auf Pfund Roggen. Die Roggenanweisungen der Oldenburgischen Staatlichen Kreditanstalt lauten auf 250 Pfund Roggen pro Stück, unverzinslich, aber nach fünf Jahren mit 300 Pfund Roggen rückzahlbar. Anderswo dienen Kohle oder Kali als Basis.

 Inflationsgeld

Hungersnot

Die Lebensmittelpreise steigen ins Uferlose. Ein Pfund Butter kostet am 11.8.1923 180.000 Mark, eine Woche später bereits 1,3 Millionen und am 7.11.1923 knapp 100 Milliarden.

Seit dem ersten Weltkrieg ist die Ernährungslage in Deutschland desolat. Viele Menschen hungern seit fast zehn Jahren: Zunächst wegen des Krieges, darauf folgten die Revolutionskämpfe und Putschversuche, dazu kamen Reparationszahlungen, Gebietsabtretungen, Inflation und Ruhrbesetzung. Weitere Ursachen sind Misswirtschaft, Kriegsgewinnlertum und Großhändler, die Lebensmittel zu Spekulationszwecken horten.

Zu Tausenden fahren Städter aufs Land, um abgeerntete Felder nach übrig gebliebenen Kartoffeln zu durchsuchen oder noch reifende Feldfrüchte zu stehlen. Nicht selten kommt es dabei zu Schießereien; Tote sind zu beklagen.

Schulspeisungen werden eingerichtet, Landverschickungen in Waldschulen, Landpflegestellen und ehemaligen Militärlagern organisiert. Doch das Kinderelend ist allgegenwärtig. Bei der schlechten Ernährungslage können keine Muskeln und Knochen aufgebaut werden; Wirbelsäulenverkrümmungen bei Kindern sind nichts Ungewöhnliches.

 Obdachlosenasyl   Obdachlosenasyl

Pogrom in Scheunenviertel

Am Montag, dem 5.11.1923, kommt es schließlich zu einem Pogrom im Scheunenviertel. Die Lage in Berlin ist ohnedies angespannt, Lebensmittelunruhen sind an der Tagesordnung. Die Nachricht von einem beispiellosen Sturz der Mark an der New Yorker Börse führt zu einem Sturm auf die Bäckerläden. Hinzu kommt, dass die Brotkarte, die Bedürftigen den Kauf von Brot zu günstigeren Preisen ermöglich, abgeschafft und der reguläre Brotpreis auf das fünfeinhalbfache des Vortages heraufgesetzt wird.

Erwerbslosen, die vor einem Arbeitsamt auf Auszahlung ihrer Unterstützungsbeiträge warten, wird mitgeteilt, dass kein Geld mehr vorhanden sei. Agitatoren nutzten die Erregung und verbreiteten das Gerücht, „Galizier“ aus dem Scheunenviertel hätten das wertbeständige Geld der Arbeitslosen planmäßig aufgekauft, weit unter seinem amtlichen Kurs. Daraufhin zieht die aufgebrachte Menge durchs Scheunenviertel. Verbrecher, die eine Gelegenheit zu straflosen Plünderungen sehen, schließen sich ihnen an. Die Schutzpolizei greift erst spät und zögernd ein, so dass der Mob nahezu ungehindert den ganzen Tag und die folgende Nacht wüten kann. Juden werden misshandelt, ausgezogen, beraubt, Läden geplündert, Wohnungseinrichtungen demoliert.

 

Ende der Inflation

Ein Ende findet die Inflation erst, als die Regierung Stresemann, durch ein Ermächtigungsgesetz zu notwendigen Reformen in die Lage versetzt, den Ruhrkampf beendet und am 15.11.1923 die Rentenmark einführt.

Gustav Stresemann 

Gustav Stresemann

Quellen:

  • Informationen zur politischen Bildung Nr. 261

  • Hans Ostwald: Sittengeschichte der Inflation

  • Manfred Gailus (Hg.): Pöbelexzesse und Volkstumulte in Berlin

  • Tageszeitungen 1923: Vossische Zeitung, Berliner Morgenpost, Berliner Tageblatt.

Lesetipp: Authentisch und spannend wird die Inflation von 1923 im Kriminalroman "Inflation!" beschrieben.