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Der Volksentscheid über die Fürstenenteignung 1926


Es bringt das Fass zum Überlaufen. Jahrelang hat das deutsche Volk nach dem verlorenen Ersten Weltkrieg mitansehen müssen, wie Richter in einer Zeit von Not und Entbehrung die Entschädigungsforderungen abgesetzter Fürsten erfüllen und ihnen ein Vermögen zusprechen. Dabei haben die doch ohnehin große Teile ihres Vermögens während der Inflation ins Ausland verschoben! Der Kaiser beispielsweise hat sechzig Möbelwagen mit Sachwerten ins Exil nach Holland mitgenommen und dort ein Einkommen von anderthalb Millionen Gulden jährlich bei der Steuer veranlagt.

Während sich der Reichstag schwer tut, den maßlosen Ansprüchen der Fürsten etwas entgegenzusetzen, hatten die Politiker keine Skrupel, den Staat auf Kosten der kleinen Leute zu entschulden, indem sie die Inflation forcierten und damit alle Sparer und alle diejenigen, die ihr Geld gutgläubig dem Reich als Kriegsanleihen zur Verfügung gestellt hatten, quasi zu enteignen. Die kleinen Leute in Deutschland haben die Zeche für den verlorenen Krieg und die Inflation gezahlt, die Großen haben sich daran bereichert.

Jetzt, da viele Menschen noch immer hungern, fordern die Fürsten ihren angeblichen Besitz zurück und darüber hinaus Entschädigung für entgangene Gewinne, insgesamt zwei Komma sechs Milliarden Mark. Und die Parteien bereiten bereits ein Gesetz vor, das diesen maßlosen Ansprüchen stattgeben soll. Der Antrag der Kommunisten auf einen Volksentscheid zur entschädigungslosen Enteignung der Fürsten wird deshalb sofort begeistert aufgenommen. Zwölfeinhalb Millionen Menschen, fast ein Drittel aller Stimmberechtigten, stimmen in dem Volksbegehren, das dem Volksentscheid vorausgeht, mit Ja. Vier Millionen hätten genügt. Selbst von den konservativen Parteien bis in die Reihen der Deutschnationalen hinein kommen zwei Millionen Stimmen.

Der erbitterte Kampf um diese Frage ist letztlich das Ergebnis der Versäumnisse der Revolution von 1918/19. Damals wurden die Fürsten zwar abgesetzt, jedoch nicht enteignet. Ihr Besitz wurde lediglich beschlagnahmt. Ohnehin ist es fraglich, ob den Fürsten ihr Vermögen überhaupt gehört. Das meiste davon ist genau genommen Staatseigentum, das sie mit öffentlichen Mitteln erworben haben oder gar auf unsaubere Weise durch Kabinettsorder und Scheinkäufe.

Das Ergebnis des Volksbegehrens wirkt auf die einstigen Machthaber und ihre Handlanger wie ein Schock. Monarchisten, Kirchenmänner, obrigkeitshörige Beamte versuchen mit allen Mitteln, den Volksentscheid zu Fall zu bringen.

Reichspräsident Hindenburg stellt ein fragwürdiges Hindernis auf, das den Erfolg des Volksentscheids verhindern soll, indem er nämlich die Auffassung vertritt, dass die Enteignung nicht dem Wohle des Volkes diene, sondern Vermögenshinterziehung aus politischen Gründen sei und daher verfassungsändernd. Somit reicht nicht länger die Mehrheit der abgegebenen Stimmen aus, um dem Entscheid zum Sieg zu verhelfen, sondern es muss die Mehrheit aller Wahlberechtigten zustimmen, also etwa zwanzig von vierzig Millionen Deutscher über zwanzig Jahren. Dadurch werden letzten Endes alle Uninteressierten und Neutralen als Stimmen für die Fürsten gezählt, ebenso die, die verhindert sind oder durch Terror eingeschüchtert werden. Außerdem treiben veraltete Wahllisten die Zahl der Stimmberechtigten, auf denen sich Verstorbene, Entmündigte, Ausgewanderte befinden, in die Höhe.

Doch damit nicht genug. Unter Missachtung der Tatsache, dass es eigentlich die Pflicht des Reichspräsidenten ist, als Repräsentant des gesamten Volkes neutral zu bleiben, lanciert Hindenburg einen Briefwechsel mit dem ehemaligen königlich preußischen Innenminister Friedrich Wilhelm von Loebell, in dem er den Volksentscheid als Unrecht, als Verstoß gegen den Rechtsstaat, geißelt.

Fataler wirken sich die Einschüchterungsversuche der Monarchisten aus. Gemeindebehörden weigern sich, Eintragungslisten auszulegen, und müssen dazu gezwungen werden. Pfarrer veranstalten am Wahlsonntag einen Ausflug, damit ihre Schäfchen unter Aufsicht stehen und sich nicht an der Abstimmung beteiligen. Die Hugenbergpresse veröffentlicht angebliche Telegramme aus New York, nach denen amerikanische Bankiers Deutschland die Kredite sperren, sollte der Volksentscheid durchgehen. Es wird gedroht, die Abstimmungslokale zu überwachen und jeden Arbeiter, der hineingeht, zu entlassen und jeden Ladenbesitzer zu boykottieren. Besonders auf dem Land, wo die unmittelbare Abhängigkeit von den Gutsbesitzern größer ist, hat diese Taktik Erfolg.

Am Ende reichen die Stimmen nicht aus. Vierzehneinhalb Millionen Ja-Stimmen im Gegensatz zu knapp sechshunderttausend Nein-Stimmen geben ein deutliches Signal für den Willen des Volkes. Aber es sind nur sechsunddreißig Prozent aller Stimmberechtigten und damit nicht genug. Der Volksentscheid ist gescheitert.

Titelblatt des "Berliner Tageblattes" vom 21. Juni 1926

Quellen:

  • Zeitungen von 1926

  • Ulrich Schüren: Der Volksentscheid zur Fürstenenteignung 1926

  • Fritz Rück: Reiche Fürsten, arme Leute

  • Senatspräsident Schulte: Was geschieht mit den Fürstenvermögen?

  • Heinz Karl: Die deutsche Arbeiterklasse im Kampf um die Enteignung der Fürsten

Lesetipp: Den Kampf um die Fürstenenteignung kann man hautnah in dem spannenden Kriminalroman „Tückisches Spiel“ nachlesen.